Das Projekt "A LITTLE GERMAN TOWN - zum Beispiel Beckum"

Der Geschichtswerkstatt Beckum liegt folgendes Leitbild zu Grunde: „Grabe, wo du stehst"

Unsere Geschichtswerkstatt will sich mit lokaler Geschichte beschäftigen. Geschichte und Geschichten sollen den alltäglichen Lebenszusammenhang deutlich machen; die Fragen, wie Menschen lebten und handelten und Ereignisse erfahren haben, sollen im Vordergrund stehen.

Große geschichtliche Ereignisse bekommen vor Ort ein anderes Gesicht, Widersprüche treten hervor, Leerstellen in der Geschichte der Stadt werden sichtbar. Die Vergangenheit soll aus der Sicht des gewöhnlichen Bürgers verstanden werden und ihre politische Dimension erkannt werden. Kritisch soll der Blick in die Vergangenheit sein, denn das „Heute“ ist nicht einfach nur da, sondern es ist aus historischen Prozessen gewachsen. Das Ergebnis dieses Projekts soll das Fundament für eine lebendige, erlebte Geschichte sein.“

Das erste Projekt der Geschichtswerkstatt wurde „A Little German Town“ genannt. Unter diesem Titel hatte sich in der Beckumer Bevölkerung die Erinnerung an eine 1985 gedrehte BBC-Dokumentation gebildet, in der anhand von privaten Filmaufnahmen das Alltagsleben der Beckumer unter dem nationalsozialistischen Regime porträtiert wurde. Im Rahmen der Recherche stellte sich auch der wahre Titel dieser BBC-Dokumentation heraus: The Home Movie Front.

Im Oktober 2020 wurde vom Heimat- und Geschichtsverein für Beckum und die Beckumer Berge e.V. zur Förderung dieses Projekts ein Antrag bei der EVZ – Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft eingereicht. Kooperationspartner dieses Projekts sind die Kulturinitiative Filou e.V. und Vajswerk e.V. Recherche Theater Berlin. Damit wurde die erfolgreiche Zusammenarbeit dieser drei Vereine im Rahmen des Vorgängerprojekts „Maikäfer flog“ fortgesetzt. Seinen Abschluss fand dieses Projekt mit der Vorstellung und dem Start dieser Homepage am 15. November 2022.

Was waren die ursprünglichen Ziele und Vorhaben dieses Projekts? Die „Kurzbeschreibung des Projekts“ aus dem Antrag gibt folgende Antwort: „1985 produzierte die BBC den Dokumentarfilm „A Little German Town“. Dem britischen Fernsehpublikum sollte am Beispiel einer deutschen Kleinstadt der Alltag und das Wesen des Nationalsozialismus gezeigt und erklärt werden. Der Film besteht aus filmischen Archivmaterial lokaler Provenienz und einem eingesprochenen englischen Kommentar. „A Little German Town“ war Beckum, unsere Stadt. Wir wollen nun einerseits lokale Geschichte erzählen, Beckum in der NS-Zeit untersuchen und schildern und andererseits die Funktionsweise einer kleinen münsterländischen Stadt im Nationalsozialismus zeigen. Der BBC-Film „A Little German Town“ ist der erste Bezugspunkt unseres Rechercheprojekts. Der zweite sind die Aufführungen des Dokumentartheaters „Maikäfer flog“ im Stadttheater Beckum im Januar 2021 und als drittes die Feiern zum 100jährigen Bestehen des Heimatvereins Beckum im Februar 2021. Die großen Veranstaltungen zu Anfang des Jahres bilden einen idealen Startschuss für unser Rechercheprojekt „A LITTLE GERMAN TOWN. ZUM BEISPIEL BECKUM“. In der Art einer kollektiven Erzählung soll von Beckum in der NS-Zeit berichtet werden. Zum ersten Mal soll die Geschichte Beckums von 1933–1945 umfassend erzählt werden. Hierzu wird auf vorangegangene Arbeiten sowie Archivbestände aufgebaut; vor allem aber werden Interviews mit den letzten Zeitzeugen und Zeitzeuginnen geführt und aufgezeichnet. Alle Ergebnisse werden gesammelt, Teile davon einem breiten Publikum zugänglich gemacht: in Form einer Website, in der Aufführung eines Dokumentartheaters im Dormitorium, eines pädagogischen Programms für die regionalen Schulen.“

Als Hauptziel des Projekts wurde festgelegt: „Das Hauptziel ist einerseits Beckumer NS-Geschichte auf eine besondere Art und Weise zu erforschen, zu präsentieren und zu bewahren. Andererseits soll anhand eines konkreten, lokalen Beispiels sichtbar werden, wie eine Demokratie abgeschafft, eine totalitäre Herrschaft installiert werden kann und jede*r einzelne sich dazu verhalten muss. Beckumer NS-Geschichte ist bislang nur in Teilbereichen, von einzelnen Autoren aufgearbeitet und in regionalen Buchausgaben und Zeitungsartikeln publiziert worden. In „A LITTLE GERMAN TOWN. ZUM BEISPIEL BECKUM“ geht es um die ganzen Jahre 1933–1945, die in einer Gesamterzählung recherchiert und dargestellt werden, in einer ausgewogenen Schilderung von Täter- und Opferperspektive, mit allen Grautönen der Täterschaft. Deutlich dabei wird nicht nur, wie Lokal- gleichzeitig Weltgeschichte ist, sondern auch, wie sich Politik auf jedes Individuum auswirkt, dies eine eigene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Gegenwart auslöst.“

Die inhaltlichen Themen wurden wie folgt definiert: „A LITTLE GERMAN TOWN. ZUM BEISPIEL BECKUM beschäftigt sich ausschließlich mit Beckumer NS-Geschichte, in einer multi-perspektivischen Erzählung. Hier ist zum einen die kleinstädtische, vornehmlich katholische Bevölkerung, die 1933 noch mit großer Mehrheit das Zentrum wählte, sowie die politische Opposition, die bei der Aushöhlung und Ausschaltung der Demokratie an den Rand gedrängt oder um die Existenz gebracht wurde. Zum anderen geschieht die Ausgrenzung, Verfolgung, Flucht, Deportation und Ermordung der jüdischen Familie aus der Nachbarschaft, sowie die Ankunft und die Unterbringung von Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen, die aus dem deutsch besetzten Europa nach Beckum kamen.“

Diese drei Themenschwerpunkte: erstens Aufbau des Nationalsozialismus und politische Opposition zum Beispiel durch Sozialdemokraten und Kommunisten, zweitens die Geschichte der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung und drittens die Geschichte der Zwangsarbeiter für die Jahre 1933–1945; wurden durch die Mitglieder der Geschichtswerkstatt in vielen Stunden unter der Projektleiterin Maria Sudbrock bearbeitet und in den verschiedensten medialen Formen (Zeitungsberichte, Buchveröffentlichungen, Vorträge, diese Internetseite, pädagogische Schulprogramme, Theateraufführung) der breiten Öffentlichkeit präsentiert. Dazu wurden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen interviewt, Akten in vielen Archiven gesichtet und ausgewertet, Fachliteratur analysiert, Anfragen an Behörden und Unternehmen gestellt, historische Quellen transkribiert, der BBC-Dokumentarfilm ins Deutsche übersetzt, an einem Workshop des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung Universität Bielefeld teilgenommen und in Arbeitssitzungen wurden gemeinsam Fortschritte und Inhalte diskutiert.

Danksagung

Die Geschichtswerkstatt bedankt sich bei folgenden Institutionen für ihre unterstützende Hilfe bei der Recherche zu dem Projekt:

  • Kreisarchiv Warendorf
  • Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde
  • Landesarchiv NRW Abteilung Münster
  • Landesarchiv NRW Abteilung Ostwestfalen-Lippe
  • BBC Archiv London
  • Stadtarchiv Bielefeld
  • Arolsen Archiv
  • Deutsche Hochschule der Polizei
  • Stadtmuseum Beckum
  • Stadtverwaltung Beckum
  • Standesamt Essen
  • Heimatverein Waltrop

Wir bedanken uns außerdem bei den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die sich für die Interviews gemeldet haben und bei  den Familien, die uns mit Quellenmaterial verschiedenster Art weitergeholfen haben.