Die Verfolgung von Kommunisten, Sozialdemokraten und christlichen Gewerkschaftern in Beckum durch die Nationalsozialisten 1931 bis 1935

Vortrag von Ingo Löppenberg (15.11.2022  Stadttheater Beckum)

Die erste Gruppe von Menschen, die mit der Machtübernahme um ihr Leben fürchten mussten, waren die Kommunisten. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei hatte sich den Kampf gegen den Bolschewismus auf ihre Fahnen geschrieben. In den Jahren 1930 bis 1933, vor ihrer Machtübernahme in Deutschland und in Beckum, kam es regelmäßig zu blutigen Straßenschlachten und Schlägereien zwischen beiden Parteien.
Auch wenn diese Straßenkämpfe zunächst Beckum noch ausließen und in Ahlen und Heesen geschahen, so kam die Gewalt doch mit der Gründung der Beckumer Ortsgruppe zum Juni 1931 näher an die beschauliche Püttstadt heran. Erste Straßenschlachten sind dann zunächst im Sommer 1932 für Neubeckum, damals noch eine eigenständige Gemeinde, heute ein Stadtteil von Beckum, überliefert. Klebekolonnen der Kommunisten, die im Rahmen der Wahlkämpfe zum Deutschen Reichstag Plakate aufklebten, wurden von den Nationalsozialisten überfallen. Beide Seiten holten mit LKWs Verstärkung herbei und es wurde mit Fäusten, Eisenstangen, Messern und Zaunlatten aufeinander eingeschlagen. Obwohl hierbei die Gewalt meistens von den Nationalsozialisten ausging, wurde in der katholischen Presse den Kommunisten die Schuld gegeben und die Nationalsozialisten standen als die einzigen da, die sich der kommunistischen Gewalt entgegenstellten. Die Kommunisten, welche die Abschaffung der Kirchen forderten, hatten es als Atheisten schwer im katholischen Westfalen. Ebenfalls wurde in den Zeitungsartikeln bemerkt, dass Kommunistinnen „Bubi-Köpfe“ trugen. Sowjetrussland galt vielen im politischen Katholizismus, repräsentiert durch die Zentrumspartei, als Hort der Freimaurer, die von Moskau aus nach der Weltherrschaft strebten. Dieser Anti-Kommunismus konnte als eine gemeinsame Basis verwendet werden.
Mit der Übernahme der Reichskanzlerschaft durch Hitler am 30. Januar 1933 kam es auch in Beckum zu „bedauerlichen Exzessen“, als ein betrunkener SA Mann die Fensterscheiben des Arbeiters Sudholt auf der Nordstr. 18 zerstörte. Nun setzte eine rasche Verfolgung der Kommunisten in Beckum ein. Am 05. Februar wurden alle ihre Wohnungen nach Waffen und Sprengstoff durchsucht, man fand lediglich eine unbrauchbare Donnerbüchse zur Jagd. Doch die Kommunisten ließen sich nicht einschüchtern und stellten für die Wahl zur Beckumer Stadtverordnetenversammlung eine eigene Liste auf. Aber ihr Wahlkampf würde durch die Ortspolizei stark behindert, als diese 4.000 Wahlflugschriften der KPD beschlagnahmte. Auch in Beckum kam es nun Ende Februar zu Schlägereien auf der Straße, besonders auf dem Marktplatz wurde aufeinander eingeschlagen. Als dann noch die Nachricht vom Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 Beckum erreichte, kam es auch hier zu Verhaftungen. In der Nacht vom 28. Februar auf den 01. März wurden die Kommunisten Otto Wewers, Paul Bartheld, Fritz Adank, Dietrich Honerlah, als Funktionäre der KPD Beckum verhaftet und in das Polizeigefängnis im Rathaus gebracht.
Dennoch konnte die KPD in Beckum einen Sitz bei der Stadtverordnetenwahl gewinnen, nur saß der Mandatsträger Otto Wewers noch im Gefängnis und sein Mandat wurde einfach annulliert. Die KPD Beckum wurde aufgelöst.
Damit endete die Verfolgung der KPD nicht. Am 08. Juni 1933 wurden im ganzen Kreisgebiet Beckum 33 Kommunisten verhaftet. Aus Beckum waren dies Kaspar Homann, Johann Lehrke und Otto Wewers. Sie kamen erst nach Recklinghausen ins Gefängnis der Staatspolizei, auch „Hölle von Recklinghausen“ genannt. Dort wurden die meisten immer wieder zusammengeschlagen, man darf hier von Folter sprechen. Dann wurden sie nach den Verhören auf andere Gefängnisse und Konzentrationslager verteilt und schließlich in Hamm vor Gericht gestellt und im Februar 1934 zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Im Zeitraum vom 30. Juni bis zum 18. September wurden noch folgende Kommunisten in Beckum verhaften, in Recklinghausen verhört und dann in Konzentrationslager gebracht: Bernhard Wellerdick, Heinrich Beste, Albert Spirawski.
Neben den Kommunisten wurden auch die Sozialdemokraten in Beckum im Zeitraum Februar bis Mai 1933 Opfer der nationalsozialistischen Gewalt. Die SPD trat zur Wahl der Stadtverordneten mit einer eigenen Liste an und konnte drei Mandate gewinnen und zwar für: August Fischer, Heinrich Kruse und Heinrich Dormann. Diese drei legten ihre Mandate am 21. April 1933 nieder und die SPD Ortsgruppe Beckum erklärte am 03. Mai 1933 öffentlich ihre Auflösung.
Doch dieser politische Verzicht schützte nicht vor Verfolgung. Als einer der ersten bekam die Christoph Beckel zu spüren. Er war seit 1921 Leiter des städtischen E-Werkes gewesen und hatte damals den Posten statt Theodor Trampe erhalten, der nun für die Nationalsozialisten in der Stadtverordnetenversammlung saß. Trampe nutzte seine Einflussmöglichkeiten aus und ließ Christoph Beckel aus dem Amt als E-Werkleiter entfernen. Dazu hören wir einen Augenzeugenbericht.
Auszug aus einer persönlichen Erklärung von Heinrich W. über Christoph Beckel vom 29. April 1953: „Dass Beckel Gegner der NSDAP war, war wohl jedem bekannt. Ich erinnere mich, dass Beckel in einer Samstagnacht 1932 auf dem Rückweg von einem Dienstgang in der Wilhelmstrasse überfallen und geschlagen wurde. Der Maschinist B. hatte am darauffolgenden Sonntagmorgen Mütze, Kragen und Schlips des Beckel gefunden.
Als Beckel wegen seiner politischen Einstellung von seinem Posten entfernt wurde, war das Elektrizitätswerk von vielen SA Männern in Uniform umstellt. Beckel durfte weder den Betrieb noch die oberen Räumlichkeiten seiner Dienstwohnung betreten. Zur Sicherung waren einige Tage vorher schon SA Männer als Posten aufgestellt, da man der Auffassung war, dass Beckel hätte Sabotage verüben können. Irgendeine Unterhaltung mit Herrn Beckel war uns unter Androhung fristloser Entlassung sowie schärfster Bestrafung verboten.“
Beckel musste nach seiner Entlassung sich Arbeit außerhalb Beckums suchen. Aber auch als Monteur war er vor der Verfolgung der Nationalsozialisten nicht sicher. 1937 wurde er denunziert und saß wochenlang im Gefängnis. So lange die Diktatur währte, musste Beckel beständig aufpassen. Auch seiner Familie wurden nun verschiedene Steine in den Weg gelegt und gleichsam in Sippenhaft genommen.
Ebenfalls verfolgt wurde der Sozialdemokrat Bernhard Kruse. Er hatte sich in den Wahlkämpfen vor 1933 stets energisch und bisweilen mit den Fäusten gegen die Nationalsozialisten Widerstand geleistet. Am 26. Juni 1933 wurde Kruse verhaftet und in die „Hölle von Recklinghausen“ gebracht. Hier wurde er so schwer misshandelt, dass er zeitlebens verkrüppelt blieb. Während seiner Haft wurde seine Wohnung mehrfach durchsucht und seine Familie eingeschüchtert, seine Ehefrau Elisabeth wurde dadurch dauerhaft krank. Kruse wurde Anfang September 1933 entlassen und erhielt Meldepflicht auferlegt, d.h. er musste sich jeden Tag morgens um 9 Uhr auf der Polizeistation im Rathaus melden. Da er nur noch kurze Zeit arbeiten konnte, musste die Familie bald in äußerst prekären Verhältnissen leben. Erst 1940 erhielt er eine kleine Rente. 1944 wurde er im Rahmen der Aktion Gewitter erneut verhaftet und in Münster eingesperrt. Wirklich frei wurde Kruse erst nach dem Ende der Diktatur 1945.
Mit Kruse waren am 28. Juni auch folgende SPD-Mitglieder verhaftet worden: Caspar Weber, Alex Fischer, Christoph Jöster und Heinrich Dormann. Bis auf Dormann saßen sie zunächst im Beckumer Polizei- dann im Amtsgerichtsgefängnis. Caspar Weber wurde von dort aus anschließend noch bis zum April 1934 in einem KZ inhaftiert.
Die bereits erwähnte erste Versammlung der Stadtverordnetenversammlung am 21. April 1933 brachte die Nationalsozialisten zunächst im Rahmen einer Koalition mit dem Kampfbund Schwarz-Weiß-Rot, der Beamtenliste und der Gewerbeliste an die Macht. Ausgeschlossen wurde neben der Sozialdemokratie und der KPD auch noch die Liste der Christlichen Gewerkschaften. Neben der NSDAP sollte es keine andere Vertretung der Arbeiter mehr geben. Auch mit den christlichen Gewerkschaften hatte es bereits vor der Machtübernahme Konflikte gegeben, wenn auch nicht so blutige, wie mit der KPD. Man denunzierte sich mehr auf öffentlichen Veranstaltungen und so warnte zum Beispiel die christlichen Gewerkschaften auf einem Abend im November 1931 im St. Paulus-Heim vor dem Nationalsozialismus. Im Beckumer Stadtparlament kam es nun zu folgender Szene zwischen den Nationalsozialisten und Heinrich Mense, dem Fraktionsführer der Christlichen Gewerkschaften.

Aus der Glocke 22. April 1933: Zwischenfall im Beckumer Stadtrat
Der Stadtverordnete der Liste Christliche Arbeiterschaft Heinrich Mense erklärte: „Ich spreche hier nicht im Auftrag einer politischen Partei, sondern im Auftrage der christlich-nationalen Arbeiterbewegung, die sich zusammensetzt aus Mitgliedern der Christlichen Gewerkschaften und der konfessionellen Arbeitervereine. […] Wir sind auch heute willens, am Wiederaufbau Deutschlands mitzuarbeiten. Herr Knoop [Fraktionsführer der NSDAP] hat soeben gesagt, er wolle mit allen zusammenarbeiten, die guten Willens sind. Wir wollen mitarbeiten, aber auch wünschen, dass man uns zur Mitarbeit heran lässt. Bei unserer Mitarbeit wollen wir uns von den Gedanken leiten lassen: Die Stimme der Zeit ist die Stimme Gottes.
Zu einer Erwiderung erbat das Wort der Stadtverordnete Schürmann (NSDAP): „Wenn der Stadtverordnete Mense soeben erklärt hat, er spräche nicht im Auftrage einer Partei, so muss ich diese Redewendung rücksichtslos zurückweisen. Als vor zwei Jahren die SA durch die Straßen von Beckum marschierte, hat der Stadtverordnete Mense im Stadtparlament beantragt, man solle die SA mit 20 Mark Strafe belegen usw. Ich fordere den Stadtverordneten Mense auf, sofort den Sitzungssaal zu verlassen.“
Es kam zum Eklat. Die anwesenden Männer der Sturmabteilung und des Stahlhelms bedrohten Mense und seine Anhänger im Sitzungssaal. Von draußen, die Sitzung wurde mit Lautsprechern auf den Marktplatz hinaus übertragen, kamen Rufe aus dem Menge: „Nieder!“ „Raus mit dem Kerl!“ Mense verließ mit den anderen Mitgliedern der Christlichen Gewerkschaften den Sitzungssaal und sie mussten sich draußen den Weg durch die erregte Menge bahnen.
Von da an wurden in den christlichen Gruppen wie dem Kolpingverein und im Paulus-Heim der christlichen Arbeiter nur noch unpolitische Vorträge gehalten. Man entschied sich zur stillen Mitarbeit, wurde aber von der Polizei überwacht. Nach der Ausschaltung der Gewerkschaften und der Schaffung nationalsozialistischer Arbeiterverbände, besonders die 1935 geschaffene DAF ist hier zu nennen, konnte die politische Polizei zum Schlag gegen die Reste der christlichen Arbeiterbewegung ausholen. Im Regierungsbezirk Münster wurden am 16.09.1935 alle katholischen Arbeitervereine „wegen staatsfeindlicher Bestrebungen“ aufgelöst. In Beckum wurde das Paulus-Heim von der Stadt beschlagnahmt und an den Ortsgruppenleiter Hugo Scheifhacken verpachtet, der daraus Beckums Braunes Haus machte, die Parteizentrale der NSDAP in Beckum.