Ernst Schrader, geboren am 17.10. 1932 in Beckum, erzählt von seiner Kindheit in der Kriegszeit

Kindergarten: Haus Sonneneck, Stromberger Stra8e

Schule: Antoniusschule, Klasse 1- 4, danach schulgeldpflichtiges Gymnasium für Jungen

Den zu Ende gehenden Krieg erlebten wir durch täglichen Fliegeralarm. Als Schüler wartet man natürlich auf das Ertönen der Sirenen, die täglich vormittags, zwischen 9 und 10 Uhr heulten. Nach Entwarnung hatten wir dann im Schnitt noch 2-3 Stunden Unterricht. Zwei Ereignisse sind besonders haften geblieben:

  1. 1943 wurde bei einem nächtlichen Fliegeralarm durch Zufall die Ferngasleitung (Dortmund-Hannover) an der Stromberger Straße von einer Bombe getroffen (Volltreffer). Durch die haushoch lodernde Fackel wurden die Nachtbomber angelockt und luden ihre tödliche Last ab. Die Häuser 105, 127 und 129 brannten vollständig aus. Zu der Zeit waren noch Reihenabwürfe üblich und man hörte jede einzelne heulende Bombe bis zum Einschlag. Wir saßen im Keller und zogen bei jeder Explosion den Kopf ein.
  2. Der 2. Luftangriff auf Beckum war 1944. Das Ziel war die Militärfunkstation am Höxberg. Zu dieser Zeiten waren ganze Bomberstaffeln am Himmel und luden ihre Last als Bombenteppich ab. Die Soldaten/Beckumer? hatten Glück. Der gesamte Bombenteppich landete in der Bauernschaft Dalmer ohne viel Schaden anzurichten.

Ostern 1945 war es dann so weit. Das Ruhrgebiet wurde von den Alliierten eingekesselt. Im Süden (Sauerland etc.) die Engländer, im Norden (Münsterland) die Amerikaner Richtung Osten. Die Stadt Ahlen war Lazarett-Stadt und wurde kampflos übergeben. Damit war der Weg für die Panzer nach Beckum frei. Der hiesige Ortsgruppenführer, Karl Kelle, Schulleiter und Direktor der Hans Schemm-Schule (Antonius-Schule) wollte mit einer Handvoll SS-Leuten Beckum verteidigen. Dieses wurde durch zwei Bürger verhindert, indem der Obernazi in seiner Wohnung erschossen wurde. Es wurde nie bekannt, wer diese mutigen Leute waren.

Mittlerweile waren die ersten Panzer, von Ahlen kommend, vor der Stadtgrenze aufgefahren und hatten auch einige Warnschüsse abgefeuert. Der an der Ahlener Straße wohnende Heinrich Dormann ging mit einer weißen Fahne auf die Amerikaner zu und erklärte, dass Beckum kampflos übergeben werde, und so konnten die Amerikaner Richtung Osten weiterziehen. So rollte die gesamte Streitmacht über die Stromberger Straße Richtung Bielefeld. Zwei Tage strömten die Kolonnen der Amerikaner vor unserer Haustür. Solch eine Militärmacht hatten wir noch nie gesehen.

Wir Jungen, mein Bruder war 17 und ich, bewunderten natürlich die schweren Harley Davidson, die Fahrer auf einem Schaffell sitzend, die mit dröhnendem Sound an uns vorbeirauschten.

Dann kam die Begegnung mit einem G.I. Die 17jährige Tochter (blond) unseres Hauswirts hatte sich unvorsichtiger Weise an der Haustür sehen lassen. Sofort kam ein farbiger G.I. auf das Haus zu. Das Mädchen schlug die Tür zu und versteckte sich auf dem Stallboden. Der Ami ging ums Haus und traf auf uns Jungens, seinen schweren Karabiner im Anschlag. „Where is the girl?“ waren seine Worte. Ich antworte auf Englisch. „Here ist no girl.“ Dieses war das erste Mal, dass ich einen „Neger“ zu Gesicht bekam. Und der war wirklich pechschwarz. Ich sagte zu ihm: „Oh, you are a very black man.“ Das hätte ich nicht sagen dürfen. Er richtete sein Gewehr auf mich und schrie mich an mit den Worten: „Don't say this never again, we are American coloured soldiers.“ Daraufhin von mir: „Oh, excuse me, I didn't know.“ Um ihn zu beruhigen, zeigte ich auf seinen Karabiner und sagte: „That is a big rifle you have.“ Darauf grinste er und sagte: „Oh, yeah it is“ und schoss in die Luft. Das war mein erster Kontakt mit einem Amerikaner.

In der Folgezeit wurden die Amerikaner von den Briten abgelöst, die dann die britische Besatzungszone bildeten. Das Gymnasium war mit britischen Truppen belegt, so dass wir wochenlang schulfrei hatten und uns mit den Engländern unterhalten und anfreunden konnten. Die Folgen waren Tauschgeschäfte, Schmuck und Uhren gegen Zigaretten und Kaffee. Der sogenannte Schwarzmarkt blühte und man konnte wiederum Zigaretten und Kaffee gegen Lebensmittel eintauschen. Dies war eine wilde Zeit und hat uns Jugendliche entsprechend geformt. Wir hatten danach keine Lust mehr auf Schule.

Bei Kriegsschluss verfügten wir über ein umfangreiches Waffenarsenal. Die desertierenden Landser hatten alles zurückgelassen. Von der ausgezogenen Uniform bis zur letzten Patrone. Wir verfügten über eine MP mit sechs Reserve-Magazinen, alles vollgeladen, eine O8-PK38/9Z, eine 7,65er und eine Offizierspistole Kaliber 6,35 mit entsprechender Munition. Zum Waffenübungsschießen gingen wir zum Kollenbusch, ließen einen Maikäfer an einem Buchenstamm hochkrabbeln und versuchten, ihn aus drei Meter Entfernung zu treffen. Schießen hatten wir ja bei der HJ gelernt.

Durch die Schüsse aufgeschreckt, tauchten dann einige im Walde lebende frühere Fremdarbeiter (Russen und Polen) auf, so dass wir schleunigst Fersengeld gaben. Wir kannten ja Weg und Steg und die Wasser gefüllten Steinkuhlen, die wir notfalls schwimmend durchquerten. So sind wir immer heile nach Hause gekommen.