Erinnerungen an das Kriegsende von dem Eisenbahner Helmut Klöpper 

Helmut Klöpper wurde am 24.12.1930 in Neubeckum geboren. Er war das dritte von fünf Kindern. Er war 14 Jahre alt, als er die Schule beendete und sich 1945, noch im Krieg, für eine Ausbildung bei der Bahn als Lokführer bewarb.

Helmut Klöpper erinnert sich:

Die Bahnlinie Köln – Minden war auch in Neubeckum 1944 häufig das Ziel heftiger Bombenangriffe. Fast alle Häuser in der Nähe des Bahnhofs wurden mehr oder weniger stark beschädigt. Am 22.Februar 1945 war ich auf dem Heimweg von der Hubertusstraße zu meinem Elternhaus an der Beckumer Straße.  Plötzlich gab es Fliegeralarm, ich beeilte mich nach Hause zu kommen, schaffte es aber nicht mehr und warf mich in einen Graben. Ich hörte wie die Flieger herankamen und ihre Bomben auf die Bahnlinie abwarfen. Eine Luftmine hatte den Eingang der Fußgängerunterführung zwischen dem Ortsteil Werl und der Hauptstraße getroffen. Die Unterführung wurde verschüttet und später hörte ich, dass 9 Menschen zu Tode gekommen waren. Ich hatte Glück, dass ich nicht den Weg durch die Unterführung genommen hatte. In der Nähe meines Elternhauses liefen wir bei Fliegeralarm in einen Bunker, den wir zusammen mit den Nachbarn unter der Hellbachbrücke gebaut hatten.

Die zerstörten Bahnanlagen mussten russische Kriegsgefangene schnell wieder instand setzen. Sie wohnten in einem Gefangenenlager im Lourenkamp hinter dem Zementwerk Anna und wurden auch in der Rotte eingesetzt, um Nebengleise zu verlegen, damit der Personen- und Güterverkehr schnell wieder aufgenommen werden konnte. Die Zwangsarbeiter wurden streng bewacht und auch mit der Reitpeitsche geschlagen. Nach dem Krieg rächten sich die nun freigelassenen Gefangenen und erschlugen den Rottenführer.

Meine Eltern hatten in der Nähe des Zwangsarbeiterlagers ein Stück Land von der Bahn gepachtet, das sie bewirtschafteten. Kartoffeln und verschiedene Gemüse wurden angebaut und die russischen und polnischen Zwangsarbeiter haben gerne bei der Ernte geholfen. Als Lohn erhielten sie einen Teil vom Gemüse und Kartoffeln, es war ein Geben und Nehmen. Zwei der polnischen Zwangsarbeiter sind nach dem Krieg in Neubeckum geblieben. Einer hieß Eugen Waschola, er hat geheiratet und die Familie bekam 2 Kinder. Leider verstarb die Frau bei der Geburt des zweiten Kindes, einem Mädchen. Meine Mutter war zur selben Zeit im Krankenhaus und hörte von diesem traurigen Fall. Sie sagte kurzerhand: „Ich nehme das Kind mit, wo so viele Kinder groß werden, wird auch ein weiteres groß“. Und so geschah es, das Mädchen wuchs in unserer Familie heran und nannte meine Mutter auch in späteren Jahren immer noch Mutter. Der andere Pole hieß Iwan Schepak, seine beiden Söhne wohnten noch lange in Neubeckum.

Kurz vor dem Ende des Krieges wurde ich noch für 3 Wochen zum Volkssturm einberufen. Ich wurde als Melder eingesetzt und musste mich in der Gaststätte Wiese zum Einsatz einfinden. Dort hatten sich schon eine Anzahl älterer Männer versammelt. Einer fragte, was ich denn wolle. „Ich bin als Melder bestimmt“, antwortete ich. „So, was willst du denn melden?“ fragte der Mann. „Das weiß ich auch nicht“, war meine Antwort. Ich musste die Nacht bei Wiese verbringen. Um 23.30Uhr wurde ich geweckt und bekam den Auftrag, in den Hohen Hagen zu fahren, da sei eine Einheit Fallschirmjäger abgesprungen. Ich sollte herausfinden, ob das der Fall war. Was sollte ich tun? Ich nahm mein Fahrrad und fuhr bis zum letzten Haus am Stadtrand. Dort setzte ich mich auf eine Mauer, wartete eine Stunde und dachte gar nicht daran, in den Hohen Hagen zu fahren. Wenn dort wirklich Fallschirmjäger heruntergekommen wären, und sie hätten mich entdeckt, die hätten mich sicher erschossen. So dachte ich und fuhr dann zurück. Ich machte Meldung, dass ich nichts Besonderes gesehen hätte und legte mich wieder in meine Ecke zum Schlafen. Ob es eine Prüfung war oder nur Schikane? Ich weiß es nicht.

Der Ortsgruppenleiter König hatte es zu verantworten, dass mein Vater Josef Klöpper noch 1942 eingezogen wurde. Normalerweise wurden Familienväter mit vielen Kindern verschont, an die Front zu gehen, aber König passte die politische Gesinnung meines Vaters nicht. Mein Vater war ein „Sozi“ und musste als Feldgrauer Eisenbahner an vorderste Front. Er geriet in russische Gefangenschaft und wurde erst 1953 entlassen. Wir haben im Radio von dem Spätheimkehrerzug gehört und meine Mutter und ich sind mit dem Nachbarn sofort nach Friedland gefahren und haben meinen Vater abgeholt. Die Freude war groß.

Mein Vater wurde bei der Bahn sofort wieder als Reservelokführer eingesetzt. Er lehnte es ab, eine Prüfung nachzumachen, damit er als regulärer Lokführer arbeiten konnte und wurde bald darauf nach Beckum auf ein Stellwerk versetzt.

Mein zwei Jahre älterer Bruder und einige seiner Kumpels sind 1945 noch eingezogen worden, nur haben sie keine Uniformen mehr bekommen, weil keine mehr da waren. Sie mussten ihrer Einheit immer ein wenig vorauslaufen, um zu schauen, ob die Amerikaner schon anrückten. Als sie keinen mehr von ihrer Einheit sahen, sind sie einfach nach Hause gelaufen. Sie waren erst 16 Jahre alt und da sie keine Uniform trugen, haben die anrückenden Amerikaner sich nicht um sie gekümmert. Wären sie von ihrer eigenen Einheit erwischt worden, hätte das schlimm für sie ausgehen können.

Nach dem Krieg wurden die Männer der Verwaltung, Hans Hüttemann, Wrobel, und Fritz Roghmann aus dem Rathaus geholt und in einem offenen Jeep zur Entnazifizierung gebracht.

Wir bekamen auch Einquartierung von den Amerikanern, später von den Briten. Sie waren nett, ich habe meinen ersten „Neger“ gesehen. Ich habe das Mutterkreuz in Gold, welches meine Großmutter für ihre große Kinderschar vom Führer bekommen hatte, für ein Pfund Kaffee an einen Amerikaner verkauft. Die Amerikaner nahmen so etwas als Souvenir gerne mit nach Hause. Meine Uniform aus der Jungvolkzeit hatte ich vorher schon längst im Garten vergraben, man konnte ja nie wissen, wie die Amerikaner darauf reagiert hätten.

Auch während der letzten Kriegstage gab es noch einige Angriffe auf die Bahn, vor allen Dingen auf Güterzüge. So lagen die umgekippten Waggons am Bahndamm, die Amerikaner kümmerten sich nicht darum. Die Neubeckumer kamen mit Handwagen und luden Kunsthonig und andere Lebensmittel auf, grüne Stoffe gab es in großen Ballen, alles wurde nach Hause geschleppt. Einwohner der umliegenden Dörfer und Städte bedienten sich ebenfalls, alles war kostbar, alles wurde irgendwie verarbeitet oder getauscht. Die grünen Stoffe wurden umgefärbt und fleißige Hände schufen   Anzüge und Kostüme, die sehr begehrt waren. Ich besaß auch so einen Anzug.