Maria Nordhoff, geborene Lutterbeck,  erzählt aus der Kriegszeit

Im Mai 1929 wurde ich in Beckum geboren, ich war das 3. von 4 Mädchen. Wir wohnten auf der Wilhelmstraße. Mein Vater Konrad hatte ein Baugeschäft, er war zuckerkrank und starb im Dezember 1941. Er war Zentrums- Ratsmitglied. Als Adolf Schürmann ihn damals für die NSDAP anwerben wollte mit dem Versprechen, dass er von der Partei jeden Auftrag bekommen würde, zählte er ihm die Gewalttaten der NS auf: gegen Christen, gegen Juden, gegen Behinderte. Meine Mutter meinte später, wenn er länger gelebt hätte, hätten sie ihn noch abgeholt. Mein Vater ging mit Philipp Windmüller in die Rektoratsschule, besserte seine Progromnachtschäden aus. Von seinen Arbeitern war einer Kommunist, der später ins KZ kam und zwei Nazis, bei denen man aufpassen musste.

Ich erinnere, dass wir Flüchtlinge aus Aachen im Haus hatten, später wohnte Familie Clasberg bei uns, bei denen sich die Amis einquartiert hatten. Ich hörte immer: „Das kann nicht mehr lange dauern“, aber ich verstand ja nichts von Politik.

Arbeitskollegen von meinem Vater, die auf Heimaturlaub waren, zeigten ihm Fotos: Menschen an Galgen, Erschießungen, Berge von Leichen. Sätze fielen: „Den Adolf sollte man in Stücke hacken“ oder: „Wir haben gedacht, es seien Arbeitslager“.

Überall hingen Plakate: Feind hört mit.

Das wurde alles von oben bestimmt – und alle mussten mitmachen. Zum Führer-Duce-Zug nach Neubeckum. Nur ich durfte nicht mit.

Aufsatzthema in der Schule war: was hast du erlebt? Was hast du von den anderen gehört? In der Schule hielt man es mit seinem Lager; jeder wusste genau, wo der andere stand.

Abends sah man die Zwangsarbeiterinnen von Herkules ins Lager (ehem. Windmüller) gehen: Die konnten nicht mehr; eine blieb völlig erschöpft stehen. Mutter schickte mich mit einem Butterbrot; die Arbeiterin bedankte sich stumm.

Die französischen Kriegsgefangenen wurden besser behandelt. Bei Lönne/Hof auf dem Lippweg haben sie mit den Mädchen getanzt. Vor den Russen hatten wir Angst.

Nach der Befreiung haben die ehemaligen Zwangsarbeiter Zeichen an die Häuser gemacht: die waren gut, die nicht. Dementsprechend sind die Beckumer dann behandelt worden.

Am Karsamstag gab es drei Tote auf den Straßen durch Tiefflieger. Wehrmachtssoldaten wollten aus dem Waschküchen-Kellerfenster schießen. Irgendwann waren sie verschwunden.

Wir saßen im Luftschutzkeller des Hauses, der gestützt war mit Fichtenstämmen; einen Koffer mit den wichtigsten Dingen hatten wir dabei.  Die Mutter ging immer wieder hoch und schnappte Neuigkeiten auf. Arens, der spätere Volksbankdirektor, sagte irgendwann: „Beckum wird nicht verteidigt“.

Ostersonntag ging ich irgendwann auf die Straße, da sah ich einen Schwarzen und bin schreiend zurück ins Haus gelaufen. Er lachte nur.

Ostern nach der Messe standen die Schulmädchen vor der Kirche, auf dem Marktplatz  und warteten auf Direktor Keuker: Was würde er sagen? Er zog den Hut und wünschte „Guten Morgen“! – „Guten Morgen, Herr Direktor“.

Ich habe auch Erinnerungen an die Pogromnacht. Am Abend wurde Theodors Namenstag bei Hütchen Schulte gefeiert. Ida Stein suchte dort Zuflucht. Auf dem Nachhauseweg erlebten meine Eltern Gewalt und Zerstörungen; mein Vater wollte eingreifen, Mutter zog ihn zurück. Vom Schlafzimmerfenster aus sahen meine Eltern, wie Rose jun. floh, die Tenkhoffsgasse heruntergetrieben wurde. – Selbst gesehen habe ich die Verwüstungen am Morgen des 10. November.  Alex Falks Angestellte, wurde auf dem Flachwagen mit einem Schild um den Hals durch die Alleestraße gezogen.