Verfolgung der Solzialdemokraten

Die Beckumer Geschichtswerkstatt recherchierte Schicksale von jenen Verfolgten des NS-Regimes, die bisher in der Öffentlichkeit weniger Aufmerksamkeit fanden. Darunter fällt der Widerstand der Sozialdemokraten und der Kommunisten aus Beckum. Diese mutigen Menschen, die sich den Nazis im letzten Lebensjahr der Weimarer Republik 1932 auf der Straße entgegenstellten, wurden nach der Machtergreifung 1933 unerbittlich verfolgt. Sie haben weitere Informationen oder Nachfragen zu den hier genannten Personen? Schreiben Sie uns bitte an!

Über die Gründung und die frühen Jahre der SPD in Beckum ist kaum etwas bekannt. Nachweislich gab es im Jahr 1871 einen Abonnenten der Parteizeitung „Vorwärts“ in Beckum. Am 22. Oktober 1912 gründete sich in Ahlen ein erster sozialdemokratischer „Wahlverein“ der SPD für den Wahlkreis Beckum-Lüdinghausen-Warendorf. Im Anschluss daran gründeten sich auch zwei Ortsvereine, wahrscheinlich auch die Beckumer Ortsgruppe der SPD. 1913 hatte der „Wahlverein“ im ganzen Wahlkreis gut 300 Mitglieder, davon 80 Frauen. Bis zum Jahr 1918 stieg die Mitgliederanzahl auf 626 Mitglieder, davon 242 Frauen. Die SPD/Freien Gewerkschaften nahm an den Gemeindewahlen am 02. März 1919 (6 Mandate), am 04. Mai 1924 (2 Mandate), am 17. November 1929 (4 Mandate) und 12. März 1933 (3 Mandate) teil. Die gewählten Abgeordneten August Fischer, Heinrich Dormann und Bernhard Kruse legten ihr Mandat nach der ersten Sitzung des Gemeinderats am 21. April 1933. Die Ortsgruppe SPD löste sich am 04.05.1933 freiwillig auf.

Christoph Beckel – SPD

Christoph Beckel wurde am 28. Juni 1888 in Wiedenbrück geboren. Vom Beruf war er Werks- und Betriebsleiter. Beckel war verheiratet und hatte zwei Töchter Maria und Hanni und zwei Söhne Willi und Franz. Franz fiel 1941 im Zweiten Weltkrieg, seine Tochter Maria war eine anerkannte Sängerin.

Beckel war seit 1905/06 Mitglied beim Deutschen Metallarbeiterverband und trat 1910 der SPD bei. Beckel arbeitete zu dieser Zeit bei dem Unternehmen Bollmann in Beckum. Im Ersten Weltkrieg diente Beckel bis 1917 bei der Marine, bis er zur „Arbeitsleistung für Heereslieferungen“ nach Beckum beordert wurde. 1918 gehörte er nach der Novemberrevolution dem Arbeiterrat in Beckum an und wurde am 02. März 1919 als SPD-Mitglied in das Stadtparlament gewählt, dem er mindestens eine Sitzungsperiode angehörte. In der SPD Fraktion war Beckel „zweiter Wortführer“ und er organisierte Wahlkampfveranstaltungen für die SPD. Mit seinem eigenen Wagen holte er Redner nach Beckum. Daneben war Beckel vier Jahre lang Vorsitzender des Deutschen Werkmeisterverbandes. Seit 1921 arbeitete Beckel als Betriebsleiter im Städtischen Elektrizitätswerk. Bei seinem Eintritt in den städtischen Dienst wurde Beckel von dem Leiter der Beleuchtungskommission, einem Vertreter der Zentrumspartei aufgefordert, sein SPD Parteibuch abzugeben, doch Beckel weigerte sich.

Zeugen sagten nach dem Zweiten Weltkrieg aus, das Beckel seit dem ersten Auftreten der Nazis in Beckum am Ende der Weimarer Republik „einer der größten Feinde der NSDAP“ gewesen sei und von den Nazis rasch auf eine „schwarze Liste“ gesetzt wurde. Bereits bei der ersten Wahlkampfveranstaltung der Nazis in Beckum 1930 war Beckel vor Ort und wurde von SA-Männern aus Hamm „an die Luft gesetzt“. Da er weiterhin auf öffentlichen Versammlungen der Nazis erschien, um dort den Standpunkt der SPD zu vertreten, wurde Beckel nicht nur auf diesen Veranstaltungen körperlich angegangenen, sondern auch Nachts mindestens zweimal überfallen und zusammengeschlagen. Verantwortlich waren dafür Männer der SA in Beckum.

Als Betriebsleiter des städtischen Elektrizitätswerkes besaß Beckel eine wichtige Position in Beckum. Kurz nach der Machtübernahme 1933 besuchte der Ortsgruppenleiter der NSDAP Hugo Scheifhacken Beckel im Elektrizitätswerk und forderte Beckel auf, Mitglied der NSDAP zu werden, was dieser zurück wies. Zeugenaussagen nach dem Zweiten Weltkrieg bestätigen, dass Beckel als SPD-Parteigänger aus dem Amt entfernt wurde, weil er als politisch nicht zuverlässig galt. Über die Entfernung Beckels aus dem Werk gibt es einen Augenzeugenbericht eines Mitarbeiters aus dem Jahr 1953: „Als Beckel wegen seiner politischen Einstellung von seinem Posten entfernt wurde, war das Elektrizitätswerk von vielen SA Männern in Uniform umstellt. Beckel durfte weder den Betrieb noch die oberen Räume seiner Betriebswohnung betreten. Zur Sicherung waren einige Tage vorher schon SA Männer als Posten aufgestellt, da man der Auffassung war, dass Beckel hätte Sabotage verüben können. Irgendeine Unterhaltung mit Herrn Beckel war uns unter Androhung fristloser Entlassung sowie schärfster Bestrafung verboten.“ Christoph Beckel selbst schilderte den Tag seiner „Entlassung“ so: „[...]eines Nachmittags [wurde] meine Wohnung von ca. 30 SA Männern in Uniform umzingelt. Der Ortsgruppenleiter betrat die Wohnung von hinten, wo ich mich momentan befand. Er erklärte mir, da ich politisch nicht einwandfrei sei, könnte ich keine öffentliche Stelle bekleiden, und wäre hiermit von meinem weiteren Dienst suspendiert. Den Betrieb dürfte ich nicht mehr betreten. Während der Zeit rief ein SA Mann vom vorderen Flur aus mehrere Male „Verhaften! Verhaften!“ Da aber noch nichts gegen Beckel vorlag, konnten die Nazis ihn weder verhaften, noch dauerhaft von seinem Posten entfernen. Auf einer Versammlung der Nazis, soll einer von ihnen über Beckel gesagt haben: „[…] es müsse ein Exempel statuiert werden, der Lump müsse heraus.“ Außerdem besaß das NSDAP Mitglied Theodor Trampe ein großes, persönliches Interesse an dem Posten des Betriebsleiters im Elektrizitätswerk. Trampe sollte bereits 1920 Nachfolger für den verstorbenen Betriebsleiter Kaspar Deppe werden. Trampe wurde am 14. Dezember 1920 vom Stadtparlament gewählt. Doch die Stadtverwaltung legte Einspruch gegen Trampe ein und in einer nicht-öffentlichen Sitzung sprach sich nun eine Mehrheit im Stadtparlament gegen Trampe aus. Statt ihm wurde Werkmeister Christoph Beckel im Februar 1921 Betriebsleiter des Elektrizitätswerkes.

Christoph Beckel wurde in Beckum schließlich wegen Bestechung von dem Ortsgruppenleiter der NSDAP angezeigt. Der Prozess fand vor der Strafkammer des Landesgerichts München, weit weg von Beckum, statt. Beckel beschrieb, dass bei der Verhandlung alle Richter und auch der Hauptzeuge Parteiabzeichen getragen hätten. Dieser einzige Zeuge konnte nicht aussagen, wie viel Geld er Beckel gegeben hätte, noch wann oder wo. Beckel wurde dennoch verurteilt wegen „fortgesetzter Verbrechen im Amt § 332 STGB“.  

Nach seiner Haftentlassung versuchte Beckel in Beckum wieder Arbeit zu finden, doch dies wurde durch die Nationalsozialisten und der Deutschen Arbeitsfront verhindert. Die Familie musste zunächst ihre Wertsachen, wie Möbel, Schmuck und Andenken, verkaufen, um über die Runden zu kommen. Schließlich erhielt er durch einen befreundeten Ingenieur der Firma Humboldt-Deutz Arbeit als Monteur. Doch Beckel blieb bei seinen kritischen Aussagen. 1935 wurde er vernommen, weil er sich weigerte, an einer Veranstaltung in Dresden, auf der Hitler sprechen sollte, teilzunehmen. 1936 wurde er von einem Bademeister angezeigt, weil Beckel während einer Installation „abfällige Bemerkungen über den Führer und seinen Stab“ gemacht habe. Nur durch den Einsatz seiner Vorgesetzten konnte Beckel einer Bestrafung entgehen.

Doch wenige Monate später verließ ihn das Glück. In der Oberpfalz wurde er erneut von Nazis wegen kritischen Äußerungen angezeigt. Acht Polizisten erschienen auf dem Werk, wo Beckel gerade arbeitete und brachten ihn für drei Tage nach Bodenwöhr ins Gefängnis. Von dort wurde er nach Amberg transportiert und saß dort einige Wochen in Haft. Nachts wurde er geweckt und verhört, ohne das ihm konkrete Vorwürfe gemacht wurden. Nach diesen nervenaufreibenden Wochen wurde Beckel einfach wieder freigelassen. Wenige Monate später erhielt Beckel, als er gerade in Wasseralfingen in Württemberg war, einen Strafbefehl. Ein Junglehrer hatte ihn wegen Beleidigung des Führers angezeigt. Nach seiner Verurteilung am 15. April 1937 durch ein Sondergericht in Nürnberg wegen Vergehen „nach §2 I d.[es] Heimt.[ücke] Ges.[etzes] v. 20.12.34 gehässige Äußerungen über leitende Persönl.[ichkeiten] des Staates und der NSDAP“ zu sechs Monaten Haft, saß er diese Zeit, abzüglich seiner Schutzhaft, in Bochum bis zum Februar 1938 ab.

Auch seine Kinder wurden von den Nazis in Beckum drangsaliert. Seine Tochter Maria konnte nicht ihr Staatsexamen ablegen und musste als private Musiklehrerin arbeiten. Seinem Sohn Franz wurden in der Schule mehrfach Steine in den Weg gelegt, bis er der Hitlerjugend beitrat. Auch seinem Sohn Willi sollte zunächst der Beitritt in die Marine verwehrt werden. Da sein Vater aber ehemals auch in der Marine gedient hatte, wurde er aufgenommen. Kleine und größere Schikanen bestimmten das Familienleben.

Nach seiner Haftentlassung 1938 arbeitete Beckel weiter auf Montage und kam dadurch bis nach Norwegen. Überall wurde er überwacht. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges kam Beckel 1945 zurück nach Beckum, wo er auf verschiedenen Zementwerken arbeitete und noch dem Volkssturm beitreten musste. Nach der kampflosen Übergabe der Stadt wurde Beckel bald darauf wieder Betriebsleiter des Elektrizitätswerkes.

Quellen:

KAW – Kreis Beckum Sozialamt 588.

Hugo Schürbüscher: Ratssitzungen vor 85 Jahren: Der Fall Trampe, in: Ders.: 10 Jahre Beckumer Geschichte und Geschichten. Erzählte Vergangenheit, Oelde 2005, S. 33-34.

Bernhard Kruse – SPD

Der Schlosser Bernhard Kruse wurde 1893 in Beckum geboren. Als wehrhafter Demokrat gehörte er zu den ersten Menschen in Beckum, die sich den Nazis entgegenstellten. Im Juli 1932 hat er bei einer Straßenschlägerei nach einer Wahlkampfveranstaltung der Nazis in Beckum den Hauptredner des Abends NSBO-Gauleiter Wagner verprügelt. Der Bürgermeister von Beckum Jütten schrieb dazu ein Jahr später an den Beckumer Landrat Gärtner: „Kruse hat sich in den vergangenen Wahlkämpfen als besonders hasserfüllter Gegner der NSDAP betätigt. [...] Kruse hat sich durch diese Tat den besonderen Hass der alten Kämpfer der NSDAP in hiesiger Stadt zugezogen.“ Bei einer anderen Wahlveranstaltung der Nazis bei Köddewig in Beckum wurde Kruse, nach einer Aussage von Christoph Beckel, „blutig geschlagen“. Nach der Machtübernahme der Nazis und der Auflösung der SPD wurden prominente SPD Mitglieder verfolgt. Bernhard Kruse hatte sich für die SPD als Kandidat für die Wahl am 12. März 1933 zur Stadtverordnetenversammlung aufstellen lassen. Kruse wurde gewählt. Auf der ersten konstituierenden Sitzung am 21. April 1933, auf der SA-Leute im Saal anwesend waren und eine Menschenmenge vor dem Rathaus wartete, wurde Kruse aufgefordert, den Saal zu verlassen. Mit ihm verließen auch die anderen gewählten SPD Vertreter den Sitzungssaal. Ihre Mandate wurden aberkannt.

Am 26. Juni 1933 kam ein Funkspruch mit dem Befehl, Kruse und zwei weitere Genossen festzunehmen. Sie wurden alle von der Beckumer Polizei in Schutzhaft genommen und ins Polizeigefängniss im Rathaus untergebracht. Doch während seine beiden Genossen nach einer Woche frei kamen, wurde Kruse nach Recklinghausen zur Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Münster abtransportiert. Im dortigen Präsidium, der „Hölle von Recklinghausen“, wurde Kruse inhaftiert. Wenige Tage nach seiner Ankunft wurde er von sechs SA-Schergen mit Knüppeln brutal zusammengeschlagen. Nach mehreren Verhören wurde er in das KZ Brauweiler gebracht. Während seiner Zeit im KZ wurde seine Wohnung in Beckum immer wieder nach verbotenen Schriften und Parteifahnen durchsucht. Diese beständigen Schikanen zerrütteten die Gesundheit seiner Ehefrau Elisabeth. Kruse wurde Anfang September 1933 entlassen und musste sich jeden Morgen um 9 Uhr auf der Polizeistelle Beckum melden. Nach seiner Inhaftierung konnte Kruse nur noch wenige Monate arbeiten, zu schwer waren die durch die Misshandlungen erlittenen körperlichen Schäden. Die NS-Verwaltung verweigerte ihm die Anerkennung einer Invalidenrente. Die mehrköpfige Familie musste in prekären Verhältnissen leben. Erst fünf Jahre nach seiner Freilassung wurde ihm eine kleine Rente zuerkannt. Er blieb in der NS-Zeit unter Beobachtung und wurde nach dem Attentat auf Hitler 1944 im Rahmen der „Aktion Gewitter“ erneut verhaftet und kam nach Münster. Auf Grund seiner angeschlagenen Gesundheit wurde er aber wenige Tage später entlassen.

Kruse erlebte das Ende des Zweiten Weltkrieges und die alliierte Besatzung von Beckum. Als aufrechter und wehrhafter Demokrat nahm er Anteil am demokratischen Wiederaufbau. Bei der ersten allgemeinen und geheimen Wahl des Stadtparlamentes Beckums am 15. September 1946 wurde „Invalide Bernhard Kruse“ für die SPD als Stadtverordneter gewählt. Bernhard Kruse verstarb 1948 in Beckum.

Quellen:

KAW – Kreis Beckum Sozialamt 588.

KAW – Kreis Beckum Sozialamt 742.

Weitere SPD Mitglieder

- Caspar Weber, geb. 14.11.1895 in Beckum. Weber wurde am 28.02.1933 in „Schutzhaft“ genommen und in das Konzentrationslager Brauweiler überführt, wo er bis zum 08. März 1934 inhaftiert war.

Quellen:

KAW - Stadt Beckum B 488.

KAW - Kreis Beckum, Sozialamt 377.

- Alex Fischer geb 21.09.1896. Fischer war Angestellter am städtischen Elektrizitätswerk Beckum und Spitzenkandidat der SPD bei der letzten Gemeinderatswahl am 12. März 1933. Er wurde am 24. Juni 1933 verhaftet und aus dem Beckumer Amtsgerichtsgefängnis am 30. Juni 1933 freigelassen. Er erhielt eine tägliche Meldepflicht auferlegt. Seine Dienststelle beim Elektrizitätswerk musste er  „wegen politischer Unzuverlässigkeit“ am 31. August 1933 verlassen.

Quellen:

KAW - Kreis Beckum Sozialamt 446.

KAW - Stadt Beckum B 488.

- Christoph Jöster geb. 27.10.1885, Schreiner in Beckum. Als SPD Mitglied wurde er am 24. Juni 1933 verhaftet und am 30. Juni 1933 aus dem Beckumer Amtsgerichtsgefängnis freigelassen. Er erhielt eine tägliche Meldepflicht auferlegt.

Quellen:

KAW, Stadt Beckum B 488.

- Heinrich Dormann, ehemaliges Mitglied der Stadtverordnetenversammlung. Er erhielt am 24. Juni 1933 eine tägliche Meldepflicht auferlegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Dormann zu der ersten am 11. Januar 1946 von der britischen Militärregierung eingesetzten Stadtverordnetenversammlung. Zusammen mit Heinrich Haverkemper und Otto Wewers beantragte Dormann die Einsetzung einer Kommission zur „Säuberung der Verwaltung und Wirtschaft von Nazi-Elementen“ die am 30. Januar 1946 von der Stadtvertretung beschlossen und eingesetzt wurde.

Quellen:

KAW, Stadt Beckum B 488.