Wahlkämpfe und Straßenschlachten in Beckum und Umgebung 1930 – 1933

Gewalt war zur Zeit der Weimarer Republik ein von allen Parteien anerkanntes und angewandtes Mittel, um mit dem politischen Gegner „abzurechnen“. Für die Nationalsozialisten besaß Gewalt aber eine besondere Bedeutung, sollten sich doch durch die Kämpfe auf den Straßen und in den Sälen, wo Wahlkampfveranstaltungen statt fanden, ihre männlichen Anhänger bewähren und abhärten. Die Provokation der politischen Gegner, um Situationen eskalieren zu lassen, gehörte daher zu einem der häufigsten Mittel in der politischen Auseinandersetzung. Durch geschickte Propaganda gelang es den Nationalsozialisten, die Schuld an diesen Schlachten häufig auf die von ihnen besonders verhassten Kommunisten zu schieben. Die konservative Presse, wie zum Beispiel katholische Zeitungsblätter, griffen diese Propaganda häufig auf und es entstand dadurch in diesen konservativen Kreisen vermehrt der Eindruck, dass die Nationalsozialisten auf der Straße für Ordnung sorgen würden. Auch im Altkreis Beckum gehörte diese Gewalt in der Form von Straßenkämpfen in den Jahren 1931 bis 1933 zum Alltagsbild. Der Einsatz der Polizei in den Orten des Kreises, welche dazu mit Polizeikräften aus Münster verstärkt wurde, konnte dies kaum verhindern.

Bei der ersten Wahlkampfveranstaltung der Nationalsozialisten in Beckum war dies zunächst noch anders gewesen. Im Rahmen der Reichstagswahlen 1930, den sogenannten „Durchbruchswahlen“ der NSDAP, wurde am 31. August 1930 eine Veranstaltung im Saal C.B. Schrulle durchgeführt. Zunächst war der Saal durch Anhänger anderer Parteien blockiert gewesen, so dass die Polizei ihn räumen musste, was aber ohne Zwischenfälle geschah. Der nationalsozialistische Redner sprach drei Stunden lang, was eine anschließende Aussprache nicht mehr zuließ. Die Nationalsozialisten, ungefähr 60 Mitglieder, kamen auf einen LKW in die Stadt. In militärischer Formation zogen sie singend die Weststraße herunter, trugen dabei aber keine Uniform, denn diese war verboten worden. Einzelne Nationalsozialisten wurden wegen des Tragens von Leibriemen/Koppeln von der Polizei der Versammlung verwiesen. Der Beckumer Bürgermeister als Chef der Ortspolizeibehörde hielt die Polizisten aber zurück, „da unter den bereits angegebenen Umständen mit ernstlichen Zwischenfällen am und im Versammlungsraum gerechnet werden musste.“ Die Polizei riegelte die Abmarschweg der Nationalsozialisten ab, um Zusammenstöße zu verhindern.

Auch eine zweite Wahlkampfveranstaltung am 07. September 1930 verlief ohne Zwischenfälle. Neben „60 - 70 Mann (Ortsgruppe Hamm) waren etwa 150 - 200 Teilnehmer aus der hiesigen Bevölkerung erschienen.“ Nach den Ausführungen des Redners kam es „mangels Interesse“ aber nicht zu einer Aussprache. Auch hier hielt sich die Polizei zurück und riegelte den Rückweg der Nationalsozialisten ab.

Mochte in der Kreisstadt noch einigermaßen Ruhe herrschen, kam es in Ahlen, wo seit 1926 eine Ortsgruppe der NSDAP mit einer eigenen SA-Truppe bestand, zu regelmäßigen Schlägereien zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten. Mehrfach gab es dabei Schwerverletzte und als Waffen fanden auch Messer und Pistolen, neben Zaunlatten, Eisenstangen, Steinen und Blumentöpfe Verwendung. Nach der Gründung der Beckumer Ortsgruppe 1931 und dem Aufbau eines kleinen SA-Truppe kann davon ausgegangen werden, dass Beckumer sich auch an den Straßenschlachten in Ahlen in den Jahren 1931 bis 1932 beteiligt haben.

Das Superwahljahr 1932 brachte dem Altkreis Beckum zahlreiche Wahlkämpfe und Straßenschlachten. Am 30. Juni kam es in Neubeckum zu einer Massenschlägerei zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten in der Bismarckstraße. Wurfgeschosse, Messer, Fäuste und Gartenzäune wurden als Waffen eingesetzt. Die Polizei vor Ort musste mit Kräften aus benachbarten Orten und durch die Feldjäger verstärkt werden, um die Kämpfenden zu trennen. Am nächsten Tag warnte die Zeitung „Die Glocke“ Kinder und Frauen aus Neugier auf die Straßen zu gehen.

Eine Woche später, am 07. Juli 1932 kam es erneut zu „schweren blutigen Zusammenstößen“ zwischen dem linken und den rechten Lager. Kommunisten hatten versucht eine nationalsozialistische Klebekolonne am Anbringen von Plakaten und dem Verteilen von Flugblättern zu hindern. Beide Seiten holten mit LKWs Verstärkung heran, die Nationalsozialisten Leute aus Ahlen, Ennigerloh und auch Beckum. Gegen 22 Uhr kam es dann in der Ennigerloher Straße zur Massenschlägerei. Trotz des Einsatzes der ganzen Polizei wurde ein Kommunist schwer durch Messerstiche verletzt.

In Beckum kam es im Juli nach einer Wahlkampfveranstaltung der Nationalsozialisten zu einer Schlägerei. Dabei wurde der Redner der NSBO-Gauleiter Wagner durch den SPD-Mann Bernhard Kruse verprügelt. Nach ihrer Machtübernahme rächten sich die Nationalsozialisten an Kruse und ließen ihn am 26. Juni 1933 verhaften und in die „Hölle von Recklinghausen“ bringen, wo Kruse schwer misshandelt wurde. Die mutigen Menschen, die sich in diesen Straßenkämpfen 1930 bis 1933 den Nationalsozialisten entgegenstellten, mussten während des Dritten Reiches immer mit erneuter Verfolgung, Repressalien und auch dem Tod rechnen.

Eine Woche später, am 14. Juli 1932, kam es zu der später von den Nationalsozialisten so genannten „Schlacht am Heesener Busch“. Aus den wohl eher 40 Nationalsozialisten machte die spätere Darstellung der Kreis-NSDAP 400 Mitglieder, die sich von Heesen aus durch die Ahlener Bergarbeiterkolonie zurück in die Ahlener Innenstadt gekämpft hätten. Diese Heroisierung von Schlachten während der Wahlkämpfe vor der Machtergreifung 1933 gehörte zu der für die nationalsozialistische Geschichtsschreibung typischen Mythenbildung. Juristisch belangt wurden aber nur die Kommunisten.

Der Polizeischutz für Wahlkampfveranstaltungen wurde daraufhin massiv verstärkt. Am 21. Juli 1932 wurde zum Schutz einer Veranstaltung der SPD auf der zwei Reichstagsabgeordnete sprachen nicht nur die ganze Ortspolizei Beckums, sondern auch ein Polizeischnellwagen aus Münster mit Besatzung und Scheinwerfern aufgeboten. Die Nationalsozialisten im Saal mussten so die kritischen Äußerungen der SPD-Abgeordneten über die NSDAP ohne Widerspruch hinnehmen. Neben der Polizei waren auch viele Mitglieder des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold aus dem ganzen Kreisgebiet in die Püttstadt gekommen. Noch größer waren die Sicherheitsvorkehrungen beim Auftritt des Reichskanzlers a.D. Heinrich Brüning am 27. Juli 1932 in Beckum. Die letzten Tage des Wahlkampfes blieb ohne Zwischenfälle.

Weitere Straßenkämpfe gab es bei den Wahlkämpfen im Februar 1933. In der Nacht vom 20. auf den 21. Februar kam es zu Kämpfen zwischen Nationalsozialisten und Arbeitern, nachdem zwei Demonstrationszüge der Nationalsozialisten und des Reichsbanners durch die Innenstadt gezogen waren. Auch in der Nacht vom 27. auf dem 28. Februar schlugen sich Nationalsozialisten und Arbeiter auf dem Marktplatz. Die Gewalt hörte nicht auf. Nach dem Reichstagsbrand kam es in der Nacht zum 01. März zu weiteren Schlägereien zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten in der Beckumer Innenstadt. Vier politische Funktionäre der KPD wurden verhaftet. Nach den Reichstagswahlen am 05. März 1933 und den Kommunalwahlen am 12. März 1933 hörten die Wahlkämpfe und die Straßenschlachten auf.

Gewalt, verübt durch die Nationalsozialisten, war aber als Mittel gegenüber ihren politischen Gegnern während der nationalsozialistischen Diktatur auch in Beckum weiterhin üblich!

 

Quellen:

Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen, Reg. Münster Abt. VII Nr. 67 Bd. 1.

„Kommunistische Unruhen“, in: Die Glocke, vom 15.07.1932.

„Beckum in Waffen“, in: Die Glocke, vom 23.07.1932.

„Ein übles Gerüchte“, in: Die Glocke, vom 21.02.1933.

„Politische Schlägerei“, in: Die Glocke, vom 01.